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Geschichte von den sieben bunten Mäusen
Vor langer, langer Zeit wohnte in Puddemin ein Bauer, der hatte eine
schöne und fromme Frau, die fleißig betete und alle Sonntage und
Festtage zur Kirche ging, auch den Armen, die vor ihre Türe kamen,
gern gab. Es war überhaupt eine freundliche und mitleidige Seele und
im ganzen Dorfe und Kirchspiele von allen Leuten geliebt. Nie hat
man ein hartes Wort von ihr gehört, noch ist ein Fluch und Schwur
oder andere Ungebühr je aus ihrem Munde gegangen. Diese Frau hatte
sieben Kinder, lauter kleine Dirnen, von welchen die älteste zwölf
und die jüngste zwei Jahr alt war: hübsche, lustige Dingelchen.
Diese gingen alle übereins gekleidet, mit bunten Röckchen und bunten
Schürzen und roten Mützchen; Schuhe aber und Strümpfe hatten sie
nicht an, denn das hätte zuviel gekostet, sondern gingen barfuß. Die
Mutter hielt sie nett und reinlich, wusch und kämmte sie morgens früh
und abends spät, wann sie aufstanden und zu Bett gingen, lehrte sie
lesen und singen und erzog sie in aller Freundlichkeit und
Gottesfurcht. Wann sie auf dem Felde was zu tun hatte oder weit
ausgehen mußte, stellte sie die älteste, welche Barbara hieß, über
die andern; diese mußte auf sie sehen, ihnen was erzählen, auch wohl
etwas vorlesen. Nun begab es sich einmal, daß ein hoher Festtag war
(ich glaube, es war der Karfreitag), da ging die Bauerfrau mit ihrem
Manne zur Kirche und sagte den Kindern, sie sollten hübsch artig sein;
der Barbara aber und den nächst älteren gab sie ein paar Lieder auf
aus dem Gesangbuche, die sie auswendig lernen sollten. So ging sie
weg. Barbara und die andern Kinder waren anfangs auch recht artig;
die älteren nahmen die Bücher und lasen, und die kleinsten saßen
still auf dem Boden und spielten. Als sie so saßen, da erblickte das
eine Kind etwas hinter dem Ofen und rief: "O seht! Seht! Was ist
das für ein schöner und weißer Beutel!" Es war aber ein Beutel mit
Nüssen und Aepfeln, den die Mutter des Morgens da hingehängt hatte
und den sie des Nachmittags einem ihrer kleinen Paten bringen wollte.
Die meisten Kinder sprangen nun alsbald auf und guckten danach, und
auch Barbara, die älteste, stand auf und guckte mit. Und die Kinder
flüsterten und sprachen dies und das über den schönen Beutel und was
wohl darin sein möchte. Und es gelüstete sie so sehr, es zu wissen,
und da riß eines den Beutel von dem Nagel, und Barbara öffnete die
Schnur, womit er zugebunden war, und es fielen Aepfel und Nüsse
heraus. Und als die Kinder die Aepfel und Nüsse auf dem Boden
hinrollen sahen, vergaßen sie alles, und daß es Festtag war, und was
die Mutter ihnen befohlen und aufgegeben hatte; sie setzten sich hin
und schmausten Aepfel und knackten Nüsse und aßen alles rein auf.
Als nun Vater und Mutter um den Mittag aus der Kirche zu Hause kamen,
sah die Mutter die Nußschalen auf dem Boden liegen, und sie schaute
nach dem Beutel und fand ihn nicht. Da erzürnte sie sich und ward
böse zum ersten Male in ihrem Leben und schalt die Kinder sehr und
rief: "Der Blitz! Ich wollte, daß ihr Mausemärten alle zu Mäusen
würdet!" Der Schwur war aber eine große Sünde, besonders weil es ein
so heiliger und hoher Festtag war; sonst hätte Gott es der Bäuerin
wohl vergeben, weil sie doch so fromm und gottesfürchtig war. Kaum
hatte die Frau das schlimme Wort aus ihrem Munde gehen lassen, so
waren alle die sieben niedlichen Kinderchen weg, als hätte sie ein
Wind weggeblasen, und sieben bunte Mäuse liefen in der Stube herum
mit roten Köpfchen, wie die Röcke und Mützen der Kinder gewesen waren.
Und Vater und Mutter erschraken so sehr, daß sie hätten zu Stein
werden mögen. Da kam der Knecht herein und öffnete die Türe, und die
sieben bunten Mäuse liefen alle zugleich hinaus und über die Flur auf
den Hof hin; sie liefen aber sehr geschwind. Und als die Frau das
sah, konnte sie sich nicht halten, denn es war ihr im Herzen, als
wären die Mäuse ihre Kinder gewesen; und sie stürzte sich aus der
Türe hinaus und mußte den Mäusen nachlaufen.
Die sieben bunten Mäuse aber liefen den Weg entlang aus dem Dorfe
heraus, immer sporenstreichs; und so liefen sie über das Puddeminer
Feld und das Günzer Feld und das Schoritzer Feld und durch die Krewe
und die Dumsevitzer Koppel. Und die Mutter lief ihnen außer Atem
nach und konnte weder schreien noch weinen und wußte nicht mehr, was
sie tat. So liefen die Mäuse über das Dumsevitzer Feld hin und in
einen kleinen Busch hinein, wo einige hohe Eichen standen und in der
Mitte ein spiegelhellen Teich war. Und der Busch steht noch da mit
seinen Eichen und heißt der Mäusewinkel. Und als sie in den Busch
kamen und an den Teich im Busche, da standen sie alle sieben still
und guckten sich um, und die Bauerfrau stand dicht bei ihnen. Es war
aber, als wenn sie ihr Adje sagen wollten. Denn als sie die Frau so
ein Weilchen angeguckt hatten, plump! und alle sieben sprangen
zugleich ins Wasser und schwammen nicht, sondern gingen gleich unter
in der Tiefe. Es war aber der helle Mittag, als dies geschah. Und
die Mutter blieb stehen, wo sie stand, und rührte keine Hand und
keinen Fuß mehr, sie war auch kein Mensch mehr. Sie ward stracks zu
einem Stein, und der Stein liegt noch da, wo sie stand und die
Mäuslein verschwinden sah; und das ist dieser große runde Stein, an
welchem wir sitzen. Und nun höre mal, was nach diesem geschehen ist
und noch alle Nacht geschieht! Glocke zwölf, wann alles schläft und
still ist und die Geister rundwandeln, da kommen die sieben bunten
Mäuse aus dem Wasser heraus und tanzen eine ganze ausgeschlagene
Stunde, bis es eins schlägt, um den Stein herum. Und sie sagen, dann
klingt der Stein, als wenn er sprechen könnte. Und das ist die
einzige Zeit, wo die Kinder und die Mutter sich verstehen können und
voneinander wissen; die übrige Zeit sind sie wie tot. Dann singen
die Mäuse einen Gesang, den ich dir sagen will, und der bedeutet ihre
Veränderung, oder daß sie wieder in Menschen verwandelt werden können.
Und dies ist der Gesang:
Herut! herut!
Du junge Brut!
Din Brüdegam schall kamen;
Se hebben di
Doch gar to früh
Din junges Leben namen.
Sitt de recht up'n Steen,
Wat he Flesch un Been,
Und wi gan mit dem Kranze:
Säven Junggesell'n
Uns führen schäl'n
Juchhe! to'm Hochtidsdanze.
Und nun will ich dir sagen von dem Gesange, was er bedeutet. Die
Mäuse tanzen nun wohl schon tausend Jahre und länger um den Stein,
wann es die Mitternacht ist, und der Stein liegt ebensolange. Es
geht aber die Sage, daß sie einmal wieder verwandelt werden sollen,
und das kann durch Gottes Gnade nur auf folgende Weise geschehen:
Es muß eine Frau sein gerade so alt, als die Bäuerin war, da sie aus
der Kirche kam, und diese muß sieben Söhne haben gerade so alt, als
die sieben kleinen Mädchen waren. Sind sie eine Minute älter oder
jünger, so geht es nicht mehr. Diese Frau muß an einem Karfreitage
gerade um die Mittagszeit, als die Frau zu Stein ward, mit ihren
sieben Söhnen in den Busch kommen und sich auf den Stein setzen. Und
wenn sie sich auf den Stein setzt, so wird der Stein lebendig und
wird wieder in einen Menschen verwandelt, und dann steht die
Bauerfrau wieder da, leibhaftig und in eben den Kleidern, die sie
getragen, als sie den Mäusen nachgelaufen zu diesem Mausewinkel. Und
die sieben bunten Mäuse werden wieder zu sieben kleinen Mädchen in
bunten Röcken und mit roten Mützen auf dem Kopf. Und jedes kleine
Mädchen geht zu dem kleinen Knaben hin, der sein Alter hat, und sie
werden Braut und Bräutigam. Und wann sie groß werden, so halten sie
Hochzeit an einem Tage und tanzen ihre Kränze ab. Und es sollen die
schönsten Jungfrauen werden auf der ganzen Insel, sagen die Leute,
und auch die glücklichsten und reichsten, denn alle diese Güter und
Höfe hier umher sollen ihnen gehören. Aber ach, du lieber Gott, wann
werden sie verwandelt werden?